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Wie umgehen mit der deutschen Vergangenheit? Vorbereitung auf die Gedenkstättenfahrt 2020

Anlässlich der Gedenkstättenfahrt des BiZ Bocholt nach Lublin und in die Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek und Belzec in Polen im Frühjahr 2020 fand vom 06. bis zum 10. Januar dieses Jahres ein Kompetenzseminar statt. Dieses diente der organisatorischen und vor allem auch der inhaltlichen Vorbereitung der Teilnehmenden. Es kamen 24 äußerst motivierte Teilnehmende zusammen, um sich auszutauschen und ihr Wissen über das Themenfeld „Nationalsozialismus und Holocaust“ auszubauen und zu verfestigen.

Die inhaltliche Auseinandersetzung begann dienstags mit einer kommentierten Filmvorführung. „Jud Süss“, der bekannte Propagandafilm des NS-Regimes unter der Regie von Veit Harlan aus dem Jahre 1940, wurde der Gruppe vom Filmwissenschaftler und Medienpädagogen Michael Kleinschmidt (Institut für Kino und Filmkultur e. V. (IKF)) präsentiert. Das Lernziel bestand darin, ein Gespür für die propagandistischen Dimensionen des NS-Regimes und der narrativen Ausgestaltung antisemitischer Ideologie zu bekommen. An die Vorführung schloss sich eine detailreiche und lebendig vorgetragene Analyse der Leitmotive und Darstellungsmittel des Films an, die bei den Teilnehmenden für einigen Diskussionsstoff sorgte.

Am Nachmittag desselben Tages gab Hanna Fritz vom Referat 301 des BAFzA, selbst gebürtige Polin, die Gelegenheit, einen Einblick in die Sprache und Kultur ihres Heimatlandes zu gewinnen. Anschaulich und gut verständlich erklärte Frau Fritz die Begebenheiten vor Ort, sprach über die derzeitige politische Lage Polens und führte die Teilnehmenden in die wichtigsten Wendungen der Landessprache ein. Dieser landeskundliche Teil des Seminars wurde zudem ergänzt durch einen Kurzimpuls von Thorsten Hasche zur Klärung der Frage „Warum Gedenkstättenarbeit und -pädagogik?“.

Der Mittwoch unserer Seminarwoche war einer gezielten inhaltlichen Aufarbeitung des Hauptthemas gewidmet. Zunächst wurde in Gruppenarbeit die Chronologie der Ereignisse zwischen 1933 und 1945 erschlossen. Es wurden vorbereitete Photographien mit kurzen Sachtexten im Seminarraum ausgelegt, die jeweils ein bedeutsames historisches Ereignis repräsentierten. Auf dem Boden hatten die Seminarleiter einen Zeitstrahl mit Kreppband aufgeklebt. Die Teilnehmenden bekamen nun die Aufgabe, sich in Kleingruppen zu organisieren und die Bilder samt hinzugefügten Daten auf dem Zeitstrahl zu positionieren. Anschließend wurde die fertige chronologische Aufstellung gemeinsam gründlich besprochen und durch zusätzliche Hintergrundinformationen und historische Einordnungen seitens der Seminarleiter eingerahmt.

In einem zweiten Schritt erfolgte dann am Folgetag eine weitere Aufarbeitung der historischen Fakten. Anhand von Lehrfilmen mit Original-Filmmaterial konnte die Rassenlehre und Ideologie der Nationalsozialisten beleuchtet werden. Hier wurde in der inhaltlichen Rahmung durch die Seminarleiter ein besonderes Augenmerk auf die Willkür des von den Nazis zugrunde gelegten Weltbildes und ihrer wissenschaftlich unhaltbaren Bemühung pseudodarwinistischer Elemente gelegt. Im Anschluss informierten sich die Teilnehmenden anhand ausgelegter Photographien über die zentralen Akteure des NS-Regimes. Auch hier wurden im Plenum Informationen ausgetauscht und Kenntnisse zusammengetragen, um die vorher durch die „Zeitstrahl“-Übung erarbeiteten Ereignisse realen Personen, mithin Gesichtern zuzuordnen. Angeregte Diskussionen begleiteten beide Seminareinheiten. Zu guter Letzt wurde am Donnerstagnachmittag noch die Gruppenarbeitsphase im Rahmen des geplanten Besuchs der Gedenkstätte Majdanek geplant; es wurden Teams eingeteilt und Themen zugeordnet.

Die für beide Seminartage anvisierten Lernziele konnten definitiv erreicht werden: Zum einen wurde die Gruppe durch das Format aktiviert und zu eigenständiger Arbeit angeregt, zum anderen konnte ein einheitlicher Kenntnisstand aller Teilnehmenden – als inhaltliche Vorbereitung – erarbeitet werden.

Ihren Abschluss fand diese ertragreiche Seminarwoche für alle Beteiligten mit einem genauen „Briefing“. Die Seminarleiter besprachen konkrete Abläufe der Fahrt, das genaue Programm vor Ort, gaben organisatorische Hinweise zur An- und Abreise sowie zur benötigten persönlichen Ausstattung für die Reise. Auch konkrete Hinweise auf z. B. Verhaltensregeln beim Besuch von Gedenkstätten kamen dabei zur Sprache. Offene Fragen aller Art konnten so geklärt werden.

Das Feedback zur Woche fiel äußerst positiv aus: Die Wissensvermittlung sei, so die einhellige Meinung der Teilnehmenden, sehr gelungen und in ihrer Gestaltung kurzweilig und interessant gewesen. Auch Teilnehmenden, die, etwa durch den Geschichtsunterricht in ihrer Schulzeit, bereits über profundes Wissen über das Themenfeld „Nationalsozialismus und Holocaust“ verfügt hatten, konnten nach eigener Angabe Neues entdecken und darüber hinaus ihre Kenntnisse nun besser einordnen. Nicht zuletzt lobte die Gruppe diejenigen Seminareinheiten, welche durch die eingeladenen Gäste gestaltet wurden – diese hätten ihre Inhalte durchweg abwechslungsreich und aktivierend präsentiert und damit wesentlich zum Flow des Seminars beigetragen. Doch gerade die Auseinandersetzung mit Originalfilmmaterial wurde von einigen Freiwilligen als emotional belastend empfunden. Gleichsam ist es eine gewisse Vorbereitung auf die emotionalen Herausforderungen, die die Gedenkstättenfahrt selbst bereithalten könnte.

Von: Christoph Diehl und Thorsten Hasche