Bundesfreiwilligendienst in der Assistenzagentur
Bielefeld. So wirklich spannend fand Kreshnik Bekteshi seine Ausbildung nach dem Realschulabschluss nicht. Er wollte Finanzbeamter werden. Jetzt wird er Heilerziehungspfleger. Dazwischen liegt eine Wende in seinem Leben: Der Bundesfreiwilligendienst in der Assistenzagentur der von Boldelschwinghschen Stiftungen Bethel. Ein Freund hatte ihm geraten, es doch mal mit einem „Betheljahr“ zu versuchen. So heißen in Bielefeld die zahlreichen Freiwilligendienste, die die größte diakonische Einrichtung in Europa anbietet. „Bethel“, das sind Krankenhäuser, Werkstätten für Menschen mit Behinderung, die Arbeit mit Epilepsie- und Suchtkranken, Wohngruppen, Schulen, ein Hospiz und eben die Assistenzagentur, die Ehrenamtliche als Freizeitbegleiterinnen und -begleiter an Menschen mit Krankheiten und/oder Behinderungen vermittelt. Kreshnik, den sie hier alle Nick nennen, suchte Rat bei der Freiwilligenagentur der Stiftungen und entschied sich für den Bundesfreiwilligendienst in der Assistenzagentur. „Das fand ich wegen der vielen verschieden Aufgaben am spannendsten“, erzählt er zum Abschluss seines Dienstes. Seine Wahl habe er „nie bereut“.
Selbstständiger sei er geworden und selbstbewusster, antwortet der ruhige, kräftige 19-Jährige nach einigem Überlegen auf die Frage, ob ihn der Dienst mit den behinderten Menschen verändert habe. Bis zum Corona-Lockdown Mitte März habe er Klientinnen und Klienten zum Einkaufen begleitet, hat mit ihnen Tagesausflüge unternommen oder einfach nur „zuhause Filme geguckt.“ Einer wollte immer nur raus in die Natur. So kam Nick auf die Idee, mit ihm zusammen im Garten Kräuter anzubauen. Ahnung hatten sie nicht vom Gärtnern, aber sie lernten beide aus Versuch und Irrtum. Eine typische Erfahrung in der Begegnung mit „behinderten“ Menschen - für Nick wie für viele andere.
Das Programm bestimmen die „Kunden“. Die Begleiterinnen und Begleiter helfen beim Umsetzen der Wünsche. Assistenten sind sie, aber doch mehr als Gehilfen. Sie geben Anregungen, machen Vorschläge und lernen eine Menge von Menschen, die so ganz anders sind als sie selbst, ihre Freunde und Angehörigen. Anfangs fand es Nick schon befremdlich, wenn einer seiner Klienten im Supermarkt Leute ansprach und auf die Schippe nahm. „Später habe ich dann auch mal mitgemacht.“ Normalität ist relativ. Einen seiner „Kunden“ hat er jeden Mittwoch in die Disko im Bethel-Kulturzentrum „Neue Schmiede“ begleitet. „Der hat sich die ganze Woche schon darauf gefreut“, erinnert sich Nick, „so sehr, dass er mich damit angesteckt hat“.
Kurz nach Aschermittwoch war dann alles vorbei. Ab dem 15. März schlossen alle Freizeiteinrichtungen. Landesweit galten nun die neuen Corona-Regeln. Mangels Klienten half Nick nun, das Büro zu renovieren und neu zu streichen („Das war nicht so mein Traum“) und wechselte schließlich in die Arche. Dort leben Kinder und Jugendliche mit Autismus und anderen Schwierigkeiten, die sie mit der Umwelt haben oder diese mit ihnen. Nick half beim Einkaufen, Kochen, Tisch decken oder den Kindern beim Duschen und Anziehen.
Viele tolle, coole Erfahrungen, aus denen er eine Menge gelernt hat, bilanziert Nick seine Zeit im Bundesfreiwilligendienst. Jetzt weiß er, wohin die Reise geht. Den Dienst quittierte er etwas vorzeitig, um in Bethel die Ausbildung zum Erzieher zu beginnen. Der junge Mann hat seine Berufung gefunden.
Die Einsatzstelle: Die 2009 gegründete Assistenzagentur Bethel vermittelt gut 300 Menschen mit Behinderung(en), sucht- und psychisch Kranken ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die sie in ihrer Freizeit zum Beispiel ins Kino oder eine Diskothek begleiten, mit ihnen Einkaufen gehen, Ausflüge unternehmen und sie anderweitig auch im Alltag unterstützen.
Text und Foto: Robert B. Fishman