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"Colonia Dignidad" – Zeitzeugin und Zeitzeuge sowie Buchautorin im Gespräch mit Bundesfreiwilligen des Bildungszentrums Karlsruhe

Im Rahmen eines Seminars zur politischen Bildung des Bildungszentrums Karlsruhe lautet das Thema „Colonia Dignidad“. Höhepunkt des Seminars sind die Beiträge der Zeitzeugin und des Zeitzeugen Edeltraut und Michael Müller sowie der Autorin Heike Rittel, die an einem Vormittag über das Erlebte und die historischen Hintergründe berichten.

Colonia Dignidad“? Als die Teilnehmenden an einem Montag im Oktober erfahren, welche Gäste die Seminarwoche des Bildungszentrum Karlsruhe begleiten werden, sind Interesse und Neugier sofort groß. Einige haben den Namen „Colonia Dignidad“ schon einmal gehört, aber viel ist den Teilnehmenden nicht bekannt über die deutsche Sekte, in der im zwanzigsten Jahrhundert unzählige Menschenrechtsverletzungen verübt wurden.

Unter Führung des Laienpredigers Paul Schäfer siedelten 1961 mehrere hundert Menschen, teils begeisterte Anhängerinnen und Anhänger, teils entführte Kinder, von Deutschland nach Chile um – zynisch nannte sich das Projekt „Colonia Dignidad“ („Kolonie der Würde“). Rund vier Jahrzehnte wurden die Opfer dieser Sekte dort brutal misshandelt, erlitten systematischen sexuellen Missbrauch und waren, gefangen auf dem Gelände, von der restlichen Welt und Kontakten völlig abgeschnitten.

Edeltraut und Michael Müller haben einen Großteil ihres Lebens an diesem Ort verbracht. Gemeinsam mit Heike Rittel, Autorin des Buches „Lasst uns reden. Frauenprotokolle aus der Colonia Dignidad“, berichten Sie den Teilnehmenden des Seminars von ihren Erfahrungen und lesen gemeinsam in dem Buch.

Am Vortag des Gesprächs haben sich die Teilnehmenden intensiv vorbereitet und nicht nur zu den Entwicklungen in der „Colonia Dignidad“, sondern auch zu den politischen und historischen Hintergründen recherchiert: Wie kam es, dass sich dieses brutale System so lange halten konnte? Wie konnte die „Colonia Dignidad“ ab 1973 zum Folterlager werden und die Führung den chilenischen Diktator Pinochet unterstützen? Und wie kann es sein, dass die Zuständigen deutscher Behörden wegsahen oder zumindest zu wenig für den Schutz der Opfer taten? Auch diese politischen Zusammenhänge sind neben dem persönlichen Schicksal der Zeugin und des Zeugen Thema der Veranstaltung. Denn „bis heute ist die Geschichte der „Colonia Dignidad“ und die Rolle der Bundesrepublik nicht vollständig aufgearbeitet“, betont Autorin Rittel.

Für die jungen Bundesfreiwilligen ist es ein Vormittag mit vielen überraschenden Einsichten und darüber hinaus eine sehr emotionale Begegnung, die neben allem Schrecken auch Hoffnung gibt: Denn, dass das spätere Ehepaar Edeltraut und Michael Müller sich in der Auflösungsphase der Sekte überhaupt finden konnte, war im System der „Colonia Dignidad“ eigentlich nicht vorgesehen. Männer, Frauen und Kinder mussten strikt voneinander getrennt leben, nicht einmal Freundschaften waren erlaubt. Nachdem das Paar die Sekte in den 2000ern verlassen konnte, lebt die Familie Müller heute mit ihrem Sohn in Deutschland. Wenngleich das Leben in der „Colonia Dignidad“ tiefe Spuren hinterlassen hat und den Alltag der beiden bis heute deutlich prägt, sind sie dankbar für ihr jetziges Leben in Deutschland. Diese zuversichtliche Haltung hat die Seminarteilnehmenden sehr beeindruckt: „Am Ende gewinnt die Liebe“, fasst ein Teilnehmer nach der Veranstaltung seine Eindrücke zusammen.